Übungen

Ein Gotteshaus in Großkleinberg

„Wer nicht zu irgendetwas steht, wird auf irgendwas hereinfallen.“

Malcolm X 
einer der Führer der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung (1925-1965)

Überblick

Themen
  • Religion und Weltanschauung
  • Diskriminierung und Intoleranz
  • Politische Partizipation
Komplexität

Stufe 2

Gruppengröße

15-30 Personen

Zeit

2-2,5 Stunden

Überblick

In dieser Simulation einer Gemeinderatsversammlung geht es um den Bau eines neuen Gotteshauses

Fokus
  • Schutz vor Diskriminierung
  • Religions- und Weltanschauungsfreiheit
  • Informationsfreiheit und die Freiheit der Meinungsäußerung
Ziele
  • Konfliktlösungsfähigkeiten entwickeln
  • Sich mit dem Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit auseinandersetzen
  • Argumentations- und Analysefähigkeit entwickeln
Materialien
  • Zettel für die Namensschilder
  • Flipchart-Papier
  • eine Uhr
  • eine kleine Klingel für den Ortsvorstand
Vorbereitung
  • Kopieren Sie die Rollenkarten, die Problembeschreibung und die Debattenregeln.
  • Fertigen Sie Namensschilder für die verschiedenen Parteien oder Gruppen an, die bei der Versammlung anwesend sind.
  • Listen Sie die verschiedenen Rollen für alle sichtbar auf einem Flipchart auf.
  • Organisieren Sie einen Raum für die „Gemeinderatsversammlung“ und separate Räume für die verschiedenen Gruppen, so dass diese ihre Position vorab diskutieren oder sich mit anderen treffen können.

Durchführung

Anleitung

  1. Lesen Sie die Problembeschreibung auf dem Arbeitsblatt laut vor. Erläutern Sie, dass alle Teilnehmer*innen (TN) in Großkleinberg wohnen und sich darüber streiten, ob auf einem verwahrlosten städtischen Grundstück ein neues Gotteshaus einer religiösen Minderheit gebaut werden soll.
  2. Zeigen Sie die Liste mit den unterschiedlichen Rollen. Verteilen Sie Rollenkarten und Problembeschreibung nach dem Zufallsprinzip und zeigen Sie den TN die Räume, in denen sie sich vorab treffen können, sowie den eigentlichen Versammlungsraum.
  3. Erläutern Sie die Debattenregeln für die Versammlung. Diese finden Sie am Ende der Übung.
  4. Vor der eigentlichen Versammlung bleiben 30 Minuten Zeit, um andere Ortsansässige zu treffen, Redebeiträge vorzubereiten und Entscheidungen für die Abstimmung zu treffen. Die Gemeinderatsversammlung wird 40 Minuten dauern und wegen der vielen Anwesenden bleibt nur sehr wenig Zeit für richtige Reden. Deshalb sollten die TN möglichst nur je ein oder zwei Argumente vorbereiten, die sie vorbringen wollen.
  5. Nutzen Sie die Vorbereitungsphase, um den Raum für die Gemeinderatsversammlung herzurichten. Ideal ist eine halbkreis- oder hufeisenförmige Anordnung der Sitzplätze, wobei der Ortsvorstand vorne sitzen soll. Parteien oder Gruppen sitzen zusammen, mit Namensschildern vor sich auf den Tischen.
  6. Nach 30 Minuten werden die TN vom Ortsvorstand in den Versammlungsraum gerufen. Der Ortsvorstand erinnert zunächst alle an die Grundregeln für die Debatte und hält eine kurze Eröffnungsrede. Anschließend findet die eigentliche Debatte statt, in der sich insbesondere die Bürger*innen eine Meinung zum Thema bilden sollen.
  7. Am Ende der Versammlung, nach 40 Minuten, bittet der Ortsvorstand um Abstimmung aller Anwesenden. Sind die Stimmen ausgezählt und das Ergebnis bekannt, verkünden Sie das Ende der Übung und bitten alle, zur Auswertung ihre Stühle im Kreis aufzustellen.

Nachbereitung und Auswertung

Begrüßen Sie zur Feedback-Runde alle mit ihren richtigen Namen oder setzen Sie eine andere Methode ein, die es den TN ermöglicht, aus ihrer Rolle zu schlüpfen. Das ist wichtig, bevor Sie mit der Nachbereitung beginnen.
Fragen Sie die Anwesenden, wie es ihnen mit dem, was gerade passiert ist, geht:

  • Waren die TN vom Abstimmungsergebnis überrascht? Entsprach es der Position der jeweils dargestellten Figur?
  • Wie viel Einfluss hatten die TN ihrer Meinung nach (in ihrer Rolle) auf das Ergebnis?
  • Haben die TN ihr Vorgehen oder ihre Einstellung zu dem Problem aufgrund der Interaktion mit anderen Personen oder Gruppen geändert?
  • War es leicht, sich mit der jeweiligen Rolle zu identifizieren? Warum (nicht)?
  • Glauben die TN, eine solche Situation könnte auch in der Realität auftreten? Können sie sich an ähnliche Fälle entsinnen?
  • Wie würden die TN reagieren, wenn an ihrem Wohnort ein Gotteshaus für eine religiöse Minderheit gebaut würde?
  • Was verstehen die TN unter dem Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religionsund Weltanschauungsfreiheit? Kennen sie Vorfälle in der Geschichte (oder Gegenwart), in denen dieses Recht verweigert wurde?
  • Warum ist die Religionsfreiheit ein Grundrecht?
  • Inwieweit wird dieses Recht hierzulande respektiert?

Tipps für die Moderation

Einführung

Wenn möglich, sollten Sie diese Übung zu zweit moderieren, um gleichzeitig Fragen zu beantworten und alle Schritte koordinieren zu können. In dieser Übung wird zwar neutral allgemein über Religion und Weltanschauung gesprochen, aber eventuell werden in den Rollen Äußerungen getätigt, die Angehörige von Religionsgemeinschaften als beleidigend empfinden. Bereiten Sie den Ortsvorstand deshalb darauf vor, in solchen Fällen zu Sachlichkeit zu mahnen und diskriminierende Äußerungen zu unterbinden. Überlegen Sie, wie Sie entsprechende Äußerungen gegebenenfalls in der Nachbereitung und/oder in Einzelgesprächen aufarbeiten.

Achten Sie in der Vorbereitungsphase darauf, dass die Zeit genutzt wird, um mit anderen zu sprechen oder einen Redebeitrag für die Versammlung vorzubereiten.

Behalten Sie beim Verteilen der Rollen im Blick, dass die Rolle des Ortsvorstands sehr anspruchsvoll ist. Wer sie übernimmt, muss sich zutrauen, die Versammlung zu moderieren und dafür zu sorgen, dass alle etwas sagen können. Diese Aufgabe müssen Sie mit der Person, die den Ortsvorstand spielt, vor der eigentlichen Simulation durchgehen.

Danach sollten Sie die Moderation, wenn möglich, ganz dem Ortsvorstand überlassen. Tauchen Schwierigkeiten auf, kann es natürlich notwendig werden, während der Simulation einzugreifen. Dabei sollten Sie darauf achten, dass die Autorität des Ortsvorstands nicht untergraben wird.

Gerät die Simulation außer Kontrolle – zum Beispiel weil am Thema vorbeigeredet wird oder neue Informationen erfunden werden – oder blockiert sich der Gemeinderat selbst und kann keinen Beschluss fassen, sollten Sie erklären, dass es auch in der Realität manchmal so zugeht und dies nicht bedeutet, dass die Übung schiefgegangen ist. Sie können dies in der Nachbereitung aufgreifen und darüber sprechen, wie schwierig es ist, bei derartigen Problemen eine Einigung herbeizuführen.

Versuchen Sie während der Nachbereitung unbedingt, eine erneute inhaltliche Diskussion zu vermeiden. Die Anwesenden müssen versuchen, sich von ihrer Rolle zu lösen, um das Erlebte richtig reflektieren zu können. Unterstützen Sie sie dabei, nicht aus ihrer gespielten Rolle heraus, sondern als sie selbst auf die Simulation zurückzublicken.

Die Hintergrundinformationen in Kapitel 5 „Globale Themen im Menschenrechtsschutz“ (PDF, 4,48 MB) können Ihnen bei der Vorbereitung helfen.

Varianten

Statt auf das Abstimmungsergebnis können Sie sich auch auf den Prozess fokussieren und herausarbeiten, wie ein solcher Beteiligungs- und Aushandlungsprozess unter Berücksichtigung verschiedener Interessen und menschenrechtlicher Rahmenbedingungen gut gelingen kann. So kann in der Übung ein Informations und Austauschtreffen vor der Gemeinderatsversammlung simuliert werden, zu
dem einer der beteiligten Akteure eingeladen hat.

Je nach Gruppe kann es außerdem sinnvoll sein, die abstrakte Diskussion über den Bau eines Gotteshaus anhand eines konkreten Beispiels an die Lebenswirklichkeit der TN anschlussfähig zu machen. Achten Sie in diesem Fall auf einen diskriminierungssensiblen und respektvollen Diskussionsverlauf.

Sie können auch die Rolle der Lokalpresse in die Übung miteinbeziehen, um zusätzlich einen etwas distanzierteren Blick auf die Simulation zu gewinnen; das kann allerdings dazu führen, dass die Diskussion der Berichte mit der Gruppe länger dauert (Vorschläge siehe weiter unten).

Vorschläge zur Weiterarbeit

Diskutieren Sie über einzelne Aspekte der Religions- und Weltanschauungsfreiheit und über Spannungen, die hierzulande auftreten. Berichte über Debatten und kritische Zwischenfälle (Fallgeschichten) aus den Medien können besonders für Kleingruppendiskussionen gute Aufhänger sein. Im Anschluss an diese Diskussion können Sie sich anhand der Aktivität „Gläubige“ näher mit den individuellen Überzeugungen und deren Einfluss auf das Leben junger Menschen beschäftigen.

Wenn bei der Simulation die Lokalpresse als Rolle vergeben wurde, können Sie deren Analyse zu einem späteren Zeitpunkt aufgreifen. Insbesondere wäre es hilfreich, sich die Unterschiede zwischen verschiedenen Berichten anzusehen, um Fragen über Rolle und Wirkung der Medien aufzuwerfen. In der Übung „Titelseite“ geht es um die Frage, wie Meinungen, insbesondere durch die Medien, beeinflusst werden.

Ideen zum Handeln

Regen Sie die Gruppe an, sich ihr eigenes Umfeld anzusehen und zu recherchieren, inwieweit die Rechte verschiedener Religionsgemeinschaften geachtet werden. Treffen Sie sich mit Vertreter*innen dieser Gemeinschaften und fragen Sie sie nach ihrer Einschätzung.

Je nachdem, in welchem Kontext Sie und die Gruppe leben oder arbeiten und worüber gerade im Stadt-, Bezirks- oder Gemeinderat debattiert wird, könnte es interessant sein, eine lokalpolitische Versammlung zu besuchen, um sich in reale Diskussionen einzubringen, die die Menschenrechte der Einwohnerschaft betreffen. Sie können auch Lokalpolitiker*innen einladen, die erzählen, wie Entscheidungen getroffen werden und welche kontroversen Diskussionen es in der jüngsten Vergangenheit vor Ort gab.

Weitere Informationen

Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sind klar im internationalen Recht verankert. Menschen haben das Recht, eine Religion oder Weltanschauung zu haben, sie zu wechseln oder keiner Religion anzugehören. Sie haben auch das Recht, allein oder in Gemeinschaft nach diesen Überzeugungen zu leben.

Kopieren Sie die folgende Information für die Angehörigen der Religionsgemeinschaft von Großkleinberg und der „Jungen Bürger*innen für Menschenrechte“.

Europäische Menschenrechtskonvention, Artikel 9:
  1. Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.
  2. Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 18:
  • Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.
UN-Kinderrechtskonvention, Artikel 30:
  • In Staaten, in denen es ethnische, religiöse oder sprachliche Minderheiten oder indigene Völker gibt, darf einem Kind, das einer solchen Gruppe angehört, nicht das Recht vorenthalten werden, in Gemeinschaften mit anderen Angehörigen seiner Gruppe seine eigene Kultur zu pflegen, sich zu seiner eigenen Religion zu bekennen und sie auszuüben oder seine eigene Sprache zu verwenden.

Zwar ist diese Simulationsübung fiktiv, doch gibt es in Europa und darüber hinaus immer wieder Konflikte über den Bau von Gotteshäusern, Gebetsstätten und Versammlungsräumen religiöser Minderheiten. Im November 2009 wurde in der Schweiz ein Verfassungszusatz, der den zukünftigen Bau von Minaretten verbietet, per Volksabstimmung besiegelt. Das Ergebnis dieses Referendums kann das Recht von Muslim*innen verletzen, sich durch Gottesdienst, Lehre und Ausübung öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen. Dies ist ein integraler Bestandteil des Rechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

Anwesenheitsliste Versammlung

Sorgen Sie für zahlenmäßige Ausgewogenheit: Die politischen Parteien und Bevölkerungsgruppen sollen jeweils durch gleich viele Personen vertreten sein. Dazu kommen beliebig viele Bürger*innen, die sich für dieses Thema interessieren.

  • Der Ortsvorstand von Großkleinberg
  • Gemeinderatsabgeordnete: Drei Parteien sollten vertreten sein: die konservative Partei, die opportunistische Partei und die Partei der Vielfalt.
  • Pro Partei können Sie 1 oder 2 Abgeordnete benennen.
  • „Junge Bürger*innen für Menschenrechte!“: 1 oder 2 Mitglieder
  • „Verband Geschichte und Gegenwart“: 1 oder 2 Mitglieder
  • 1 oder 2 Vertreter*innen der betroffenen religiösen Minderheit
  • Interessierte Bürger*innen: die Personen, die keine spezifische Rolle übernehmen
  • Eventuell: 1 oder 2 Presseleute, die über die Versammlung berichten

Diese Übung basiert auf der Aktivität „A Mosque in Sleepyville” in Companion, einem Kampagnenhandbuch über Bildung und Lernen für eine neue Vielfalt, Menschenrechte und Partizipation, veröffentlicht vom Europarat. Die Aktivität wurde inspiriert durch Susanne Ulrich (2000): Achtung (+) Toleranz – Wege demokratischer Konfliktlösung. Verlag Bertelsmann Stiftung.

Debattenregeln

  • Je nach Gruppengröße und verfügbarer Zeit können die Zeitvorgaben für die Redebeiträge geändert werden.
  • Die Versammlung wird vom Ortsvorstand geleitet; in allen Angelegenheiten hat er oder sie das letzte Wort.
  • Wer etwas sagen will, hebt die Hand und wartet darauf, bis der Ortsvorstand ihm oder ihr das Wort erteilt.
  • Die Redebeiträge sollten kurz und sachlich gehalten werden und nicht länger als 2 Minuten dauern.
  • Die Versammlung dauert 40 Minuten. Das heißt, pro Rolle gibt es maximal 5 Minuten Redezeit. Am Ende wird abgestimmt, ob das Gotteshaus gebaut werden soll oder nicht.
  • Alle Anwesenden haben das Recht, in der Debatte das Wort zu ergreifen und am Ende abzustimmen.

Arbeitsblätter

  • Rollenkarten Verschiedene Rollenkarten für die Übungen (PDF, 74 KB)
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